Atomic City

Wissenschaft und Forschung an der Universität Göttingen folgen traditionell einer liberalen Gesinnung. Der internationale Ruf der Universität gründet insbesondere auf dem überdurchschnittlich hohen Niveau ihrer mathematischen Fakultät. Eine Geschichte die mit Gauss (1777-1855), Dirichlet (1805-1859), Riemann (1826-1866) begann, sich mit Hilbert (1862-1943), Klein (1849-1925), Minkowski (1864-1909) fortsetzte und bis Anfang des Jahres 1933 mit den Leitern der beiden physikalischen Institute Max Born und James Franck einen weiteren Höhepunkt hatte. Im April 1933 wurden per Gesetz alle Wissenschaftler deutsch-jüdischen Herkunft (deutschlandweit ca. 1800 Personen) aus ihren Ämtern entlassen.

Stellen Sie sich vor Gott hätte nicht geschlafen sondern im Wachzustand Präsenz gezeigt und selbigen Finger mit dem er Adam mit Leben erweckte zum Einsatz gebracht und den Zeitlauf etwas zusammengedrückt. Eine Zeitlücke wäre entstanden. Just in dem Moment, als von Papen mit von Schleicher beim Schnaps sitzen und sich die Sache mit Hitler überlegen schluckt die Lücke die Zeit weg. In dieser Lücke wären schauerliche 12 Jahre verschwunden. Es handelte sich um keine Amnesie, es hätte die 12 Jahre nie gegeben und die Geschichte würde eine andere sein.

Unter dieser Versuchsanordnung stand unser Ausstellungskonzept in der APEX Galerie Göttingen. Bei dieser Hypothese vernachlässigten wir die Frage nach dem möglichen Verlauf der politischen Entwicklung von Deutschland. Der Weg der Universität Göttingen als ein Hauptstandort der jungen Atomphysik zu Beginn des letzten Jahrhunderts stand im Vordergrund unserer Betrachtung und bildete die Basis für unseren künstlerischen Ausflug.

Zweifellos wäre Göttingen ein Anziehungspunkt für Physiker und Mathematiker geworden, die sich für die Kernforschung und deren angrenzenden Wissenschaftsbereiche interessierten. Enrico Fermi wäre nach Erhalt seines Nobelpreises wahrscheinlich nie in die USA weitergereist. Er hätte den Zug nach Göttingen genommen, um bei der Einweihung des neuen von James Franck und Max Born gegründeten Kernforschungszentrums mit den Physikern und Mathematikern dieser Zeit teilzunehmen. Ein reger Austausch mit den Forschern aus Berlin (Hahn, Meitner, Straßmann, Planck, Einstein), Leipzig (Heisenberg), Hamburg und Frankfurt wäre die Grundlage für ein weltweites Netzwerk geworden, was Forscher wie Niels Bohr, Rutherford u.v.a. zu ständigen Gastprofessoren in Göttingen gemacht hätte.

Wir möchten vor diesen fiktiven Hintergrund die schmerzlichen Verluste für die Wissenschaft in Deutschland am Beispiel der Universität Göttingen ins Bewußtsein rücken. Die momentane wirtschaftliche und damit auch gesellschaftliche Situation in Deutschland fordert die Auseinandersetzung mit der Geschichte heraus. Damals wurden ja nicht nur ein paar Wissenschaftler der jungen Atomphysik zur Emigration gezwungen. Die gesamte deutsch-jüdischen Kultur wurde vernichtet. In dem sich entwickelnden Wissenschaftszweig der Atomphysik waren jüdische Forscher überproportional vertreten. Unsere Ausstellung soll diesen Verlust erneut wachrufen. Mit der Assoziation „was hätte sein können, wenn…“ wollen wir provozieren und zum Nachdenken anregen.

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